Kunst ist eine
unbeweisbare und aber auch unwiederlegbare Behauptung. Wir wissen nicht, was Kunst ist.
Kunst ist eine persönliche Annahme des Menschen und daher auch Ausdruck seiner
persönlichen Freiheit. Daher wurde die Kunst seit jeher als eines der höchsten Güter
der Menschheit betrachtet, aber auch als eine seiner höchsten Aufgaben und Verantwortung.In der abendländischen Kultur ist nach dem Umbruch der Neuzeit, welche das
religiöse Leben in die persönliche Verantwortung des Individuums übertrug, nun ein
ähnlicher Umbruch auch im kulturellen Leben festzustellen. Das kulturelle Leben ist in
die Verantwortung des Individuums gegeben. Kirchen und kulturelle Institutionen bestehen
zwar weiterhin. Sie bleiben marktmächtig und für breite Massen bestimmend, besitzen aber
nicht mehr die allein bindende Kraft der vergangenen Zeiten von Glaubens- und
Kunstgewissheit.
Die Gefahr einer individualisierten Religion und Kunst ist
offensichtlich: Es fehlen ihr die Momente des gemeinschaftlichen Erlebnisses, der
Vermittlung und Tradition, wenn sie nur für das Individuum gilt. Der Mensch vereinsamt
und verstummt in einer nur persönlich gültigen Kultur und Religiosität. Es kann dem
Individuum nicht gleichgültig sein, was der Andere, der Nächste glaubt und für Kunst
hält. Orientierung in der Welt gründet auf Sprache und Erfahrungsaustausch zwischen
Menschen und Generationen. Die Weltwirklichkeit ist mit einem Modell solipsistischer
Religiosität und solipsistischer Kultur nicht erlebbar. Religion und Kunst wurden - wie
es mit aller Macht im 20. Jahrhundert zum Ausdruck kam - biografisch. Dass der einzelne
Mensch Religion und Kultur trägt und sich der Mensch mit dieser Annahme zum Ausdruck
bringt ist heute einleuchtend. Fraglich ist hingegen geworden ob Religion und Kultur das
Menschliche zum Ausdruck bringen. Die Aufsplitterung der religiösen und kulturellen
Lebensformen fragt und sehnt sich aus ihrer innersten Tiefe nach einer menschlichen
Gemeinschaft im Glauben und in der Kultur. Sektenbildungen aller Art geben davon Zeugnis.
Die Gefangenschaft des Einzelnen in seiner Freiheit, wird in der
Entwicklung der abendländischen Kunst des 20. Jahrhunderts ersichtlich. Noch nie zuvor
existierte eine solche Vielzahl gleichzeitig nebeneinander gültiger und selbst in ihren
krassesten Widersprüchen unstreitiger künstlerischer Ausdrucksformen. Jeder Künstler
pflegt seinen eigenen Stil, ist aber zugleich in dieser winzigen Nische des Stils gefangen
und auf diese sogenannt originale Ausdrucksweise behaftet. Die Originalität in der Kunst
definiert sich heute so: Anders zu sein, als alle anderen. Nicht das Gemeinsame, sondern
die Abgrenzung gegenüber allem und allen anderen ist zum Signum moderner Kunst geworden.
Dies ist nicht nur, aber weitgehend eine Folge des Kunstmarktes. Er vermarktet keine
abstrakten Ideen, sondern konkrete Produkte eines persönlichen, biografischen Stils.