Eigentlich könnte ich mich wegschleichen mit
    der Bemerkung, ich hätte zum Thema des Liebeslebens nichts zu sagen, weil ich kein
    Liebesleben hatte. Das Gegenteil ist der Fall: Gerade weil ich kein Liebesleben hatte,
    bin ich in herausragender Weise qualifiziert, über die Liebe zu sprechen, nämlich: Aus
    ziemlicher Distanz - wie ein Fussball-Schiedsrichter, der immer Schwarz trägt und
    pfeiffen darf, weil er nicht mitspielt. Oder wie der Papst, der über
    Familienplanung spricht. Oder Ex-Bundeskanzler Kohl: Er konnte so majestätisch über
    Politik und die Geschicke des Landes reden und urteilen, weil er damit eigentlich nichts
    zu tun hatte. Es sind Glücksfälle, wenn man jemanden findet, der konzentriert und scharf
    beobachtend auf dem Spielfeld steht; der aber auch akzeptieren kann, dass er nicht selber
    mitspielen darf. 
    Um noch ein praktisches Beispiel zu geben: Wenn wir eine
    Schreinerarbeit machen lassen wollen, sind wir vom Friseur meist besser beraten als vom
    Schreiner, und Umgekehrtes gilt für den Haarschnitt. Experten sind meist befangen von
    ihrem Gebiet, respektive instinktiv eingenommen von ihrer Arbeit. Wenn man einen Teppich
    kaufen will, wird man klugerweise nicht den Teppichhändler nach dem Preis fragen, sondern
    den mit ihm verfeindeten Obsthändler.
    Vom Liebesleben des Menschen liesse sich sagen: Es stehe und
    Falle mit der grossen Bildungsfrage, ob jemand unterscheiden kann zwischen Keuschheit und
    Impotenz. Tiere zum Beispiel können das nicht. Tiere können deshalb auch nicht treu
    sein. Sie sind treu auch nur aus Instinkt. Treue aber als Akt und Entscheid der Freiheit
    ist eine wesentliche Bildungsfrage des Menschen, hingegen keine Frage der Ausbildung. Wo
    die Unterscheidung, zwischen Keuschheit und Impotenz und zwischen Enthaltsamkeit und
    Unfähigkeit dem Menschen bewusst ist, nur da ist der Mensch gebildet, unabhängig davon
    ob er in der Sonderschule war oder in Harvard. 
    Es gibt Bereiche, in denen diese wesentlich menschliche
    Unterscheidungsfähigkeit störend, ja hinderlich und gar bedrohlich ist. Dies gilt vor
    allem für die Branche der Händler. Für sie ist Enthaltsamkeit Synonym für
    Unfähigkeit, und weil im Markt der Instinkt alleine regieren darf, hat deshalb auch die
    Moral dort nichts zu suchen. Der Schiedsrichter aber muss seine Tauglichkeit anders
    erweisen. Es müssen bei ihm ein paar zusätzliche Sicherungen gegen die Reflexe des
    Spieltriebs eingebaut sein. Wenn ihm ein Ball vor die Füsse rollt, soll er nicht
    instinktiv eine draufhauen und selber ein Tor schiesst. Dasselbe erwartete man bis vor
    kurzem auch vom Präsidenten der Vereinigten Staaten, im Falle, dass er einer jungen Frau
    begegnet. Clintons Problem war nicht, dass er sich von einer Azubi sein Kleinhirn bedienen
    liess. Sein Problem ist von ganz anderem Kaliber: Dass sich das sogenannte "role
    model" der zivilisierten Welt den niedersten Gelüsten seiner voyeuristischen Bürger
    hingibt, und vor allen die Hosen runterlässt, ist das nackte Zeichen fehlender
    Enthaltsamkeit. Clinton vollzog damit die Vermischung von Privatheit und öffentlichem Amt
    und markiert den vorläufigen Höhepunkt einer Demontage von Autorität, Respekt und
    Amtswürde, wie sie im Amerikanismus Stil geworden ist. Und vergessen sie nicht: Auch
    Deutschland ist Amerika. Nicht immer, aber immer öfter. Man muss heute geschieden sein,
    um in Deutschland Kanzler zu werden, ganz einfach deshalb, weil der Kanzler die Mehrheiten
    vertreten soll. Damit hat sich nun unzweifelhaft gezeigt: Die Exponenten der Regierung
    sind nicht mehr Vorbilder für das Volk. Das Volk will nun Vorbild sein für seine
    Regierung, und damit Vorbild sein für sich selber. Dies nannte man früher Narzissmus. 
    Wenn ich, Till Eulenspiegel, solches sage, hat man es leicht,
    mich und das Gesagte lächerlich zu machen. Man denkt: "Was will der uns erzählen?
    Der hat doch keine Ahnung wovon er spricht!" Ich habe mir erlaubt, prinzipiell von
    Liebe zu reden, weil sie für mich höchste Ansprüche stellt. Es scheint alles in dieser
    Welt auf sie ausgerichtet, aber sie ist nicht von dieser Welt. Man kann deshalb in dieser
    Welt einzig an der Liebe verzweifeln, weil sie nie wirklich beweisbar, nie erreicht, nie
    zu halten, nicht auszuhalten und deshalb immer zweifelhaft ist. Wohl deshalb blieb ich
    persönlich zeitlebens alleine, unverheiratet, kinderlos, eine verdorbene Jungfrau. Wenn
    sie wollen: Ein Feigling vor der Liebe, aber in Amt und Würde ein Narr.