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Daniel Ambühl  Bildweg  Ludwigsburg  Dokumente

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x Das Geheimnis des Wachsens X

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Wozu muss eine Pflanze wachsen, wenn sie doch wieder verwelken und verfaulen muss, oder aufgegessen wird? Weshalb muss jeder Mensch wachsen, gross und erwachsen werden? Nur um alt zu werden und zu sterben? Weshalb müssen Firmen und Staaten mächtig werden und wachsen, wenn sie doch früher oder später vom Erdboden verschwinden werden oder von anderen Staaten und anderen Firmen verschlungen und verdaut werden. Oder der Kürbis: Heute ist er gross, voll im Saft und alle bestaunen ihn. Nächstes Jahr ist nichts von ihm übrig als eine blasse Erinnerung, dass er einst da war und bestaunt wurde. Oder das grossartige Kunstwerk, das gewaltige Denkmal, das die Massen erregt: Morgen sind diese Massen schon tot, die Begeisterung verschimmelt und das Denkmal marod. Die Natur ist grausam. Ihr liegt nichts am einzelnen Kürbis, am einzelnen Mensch, am einzelnen Kopfsalat oder Denkmal. Es scheint, dass es der Natur nur um die Erhaltung der Art geht oder nicht einmal das: Der Natur geht es nur darum, dass ihre Gesetze gelten und nichts hier ewig ist, sondern alles in steter Bewegung von Werden und Vergehen. Die Natur ist unser Gönnerin und Feindin. Denn wir nähren und laben uns an ihr und gehen doch endlich an ihr zugrunde.

Ja,, es ist doch schön, eine Pflanze wachsen zu sehen, wie der Same keimt, die Pflanze aufgeht und heranwächst. Oder bei den Tieren: Wir lieben die Babys über alles, wie unsere eigenen Kinder fast, die uns am wertvollsten scheinen,wenn sie uns nichts nützen.

Die Kultur des Menschen hat ihr Ebenbild in der Agricultura. Das Wort bedeutete bei den Lateinern: Die Bebauung des Landes. Der Kult der Agricultura ist der Schutz und die Pflege des Wachsens des Getreides, der Tiere. Denn es ist doch klar: Das Wachsen, das kann der Mensch nicht machen. Er kann nur das Wachstum schützen und pflegen.  Das Wachstum kommt aus den Pflanzen selber, aus der Natur, ist ein Geschenk. Oder in unserer menschlichen Erfahrung: Wir wachsen und werden gross von selber. Weder liegt es daran, dass wir uns besonders gescheit und mit ausgeklügelten Vitaminplänen ernähren. Noch weil wir uns ständig einreden:“Ich will wachsen und gross werden“. Wachsen ist das, was hier von selbst geschieht.

Doch manchmal denkt man, man müsse das Wachstum selber machen und glaubt auch, dass die Dinge in der Welt wachsen, weil man an ihnen arbeitet. Und man denkt dann auch, man hätte die Frucht dieser Arbeit selber erschaffen und sie deshalb auch verdient. Das ist die Haltung von Kain, der den Abel erschlägt. Die Leistung, die das Wachsen und die Frucht sich selber zuschreibt, erschlägt das Empfinden des Beschenkt -seins. Das Denken erschlägt das Danken.

So könnte man auch das Wachsen des Menschen betrachten. Die Kultur ist der Schutz und die Pflege des Wachsens des Menschen. Dazu muss man den Menschen kennen. Jeden einzelnen.

Das Geheimnis des Essens. Wozu müssen wir essen? Immer wieder essen, anderes Leben verschlingen, von dem wir doch nur einen Teil gebrauchen und verdauen können und den Rest ausscheiden?

Es gibt eine Geschichte der Menschheit. Früher waren Pfahlbauern, primitive Bauern, usw, heute sind wir, die modernen Menschen. Aber auch wir beginnen bei Null. Einfach in einer anderen Umgebung. Und das einzige, was uns mit den Ahnen verbindet ist die Geschichte, die Tradition, nämlich: Dass wir nicht alles selber herausfinden, erfahren und erleben müssen, sondern dass wir vieles schon erfahren haben durch die Tradition des Lebens unserer Vorfahren und nun Neues erfahren können. Doch so Neu ist das Neue meist nicht., das wir erleben. Neu ist nur eine Form der Vergesslichkeit. Wenn wir sofort alles vergessen scheint uns alles immer neu. Je mehr wir uns Erinnern und unsere Geschichte vergegenwärtigen, desto eher könnte uns aufgehen, dass das was wir erleben nicht neu ist, es ist ewig menschliches Erleben, aber dass die Art, wie wir es erleben, unser Leben ist, einzig und entscheidend, obwohl unbedeutend und nichtig.

Das schlimme und segensreiche an der Natur ist ihre Verschwendung. Ihr Leben ist verschwenderisch. Ein Kürbis produziert Hundertausend Samen und zentnerweise Fruchtfleisch . Würde es nicht genügen, einen einzigen, Samen zu machen, den aber mächtig und gross wie den Kürbis? Die Natur ist verschwenderisch. Sie produziert Überfluss. Es reicht einer Birke, wenn einer ihrer Millionen Samen wieder zur Birke wird. Und sie verstäubt Milliarden Pollen in den Wind. Was aber ist mit den anderen 999’999 Samen? Wo sind sie geblieben?

Das Gescheiterte kennen wir nicht. Es ist uns ein Geheimnis. Und doch: Wir fühlen mit ihm. Irgendwie ist alles Gescheiterte da in unserer Welt. Die Hauptsache kann hier nicht erscheinen. Das Gescheiterte gehört zum Wesen des Überflusses. Vergeudung oder Freude des Überflusses? Wie schauen wir auf die Natur. Gönnen wir uns den Überfluss oder verachten wir ihn als sinnlose Verschwendung? Das Überflüssigste ist doch die Liebe. Der wahre Luxus. Sie nützt nichts, ist nicht beweisbar. Man kann sie grundsätzlich bezweifeln als Irrtum und Lüge. Es ist ein Leichtes, etwas zu verneinen, was man nur glauben kann. Es ist schwierig, gegen alle Verneinungen in ganz nutzloser Weise dennoch daran festzuhalten, treu zu bleiben. Denn Treue, Vertrauen und Glauben haben ihr Fundament nicht in einem kausalistischen, logisch beweis- und begründbaren System. Liebe Treue und Vertrauen sind auf dem Geheimnis der Voraussetzungslosigkeit errichtet.

 

21.Juni 2000

 
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